Ich bin die Zeit

Die Zeit

Vielleicht ist es ungewöhnlich, vielleicht gefällt es auch nicht jedem hier ein Gedicht zu lesen. Erich Kästner ist der Autor. Ist er schon beinahe vergessen? Kästner hat

nicht nur wunderschöne Kinder- und Jugendbücher geschrieben, sondern hat auch nahezu alle anderen Genres der Schriftstellerei bedient. Begonnen zu schreiben hatte Erich Kästner zur Zeit der Weimarer Republik, zur Zeit des Dritten Reichs war er offiziell verfemt, schrieb unter Pseudonym weiter (u.a. wohl das Drehbuch für den ersten Ufa-Film Münchhausen. den das Regime propagandistisch für sich nutzte). Über die Zeit nach dem Krieg schreibt Wikipedis über Kästner:

Kästners Optimismus der unmittelbaren Nachkriegszeit wich umso mehr der Resignation, als die Westdeutschen mit Währungsreform und Wirtschaftswunder versuchten, zur Tagesordnung überzugehen. Hinzu kamen die bald erstarkenden Stimmen für eine Remilitarisierung. Seinem Anti Militarismus blieb Kästner treu – er trat bei Ostermärschen als Redner auf und wandte sich später auch entschieden gegen den Vietnamkrieg.

Sein Gedicht „Ich bin die Zeit“ klingt mahnt und klingt beinahe resigniert. Die Aufforderung an uns, doch endlich still zu sein, bleibt angesichts der lauten Vielstimmigkeit, die nicht zuletzt die Nutzung der sozialen Medien um uns herumkrakeelt, aktuell.

Ich bin die Zeit

Mein Reich ist klein und unabschreitbar weit.

Ich bin die Zeit.

Ich bin die Zeit, die schleicht und eilt,

die Wunden schlägt und Wunden heilt.

Hab weder Herz noch Augenlicht.

Ich trenn die Gut‘ und Bösen nicht.

Ich hasse keinen, keiner tut mir leid.

Ich bin die Zeit.

Da ist nur eins, – das sei euch anvertraut:

Ihr seid zu laut!

Ich höre die Sekunden nicht,

Ich hör‘ den Schritt der Stunden nicht.

Ich hör‘ euch beten, fluchen schrei’n,

Ich höre Schüsse zwischendrein;

Ich hör‘ nur Euch, nur Euch allein …

Gebt acht, ihr Menschen, was ich sagen will:

Seid endlich still!

Ihr seid ein Stäubchen am Gewand der Zeit, –

Lasst euren Streit!

Klein wie ein Punkt ist der Planet,

Der sich samt euch im Weltall dreht.

Mikroben pflegen nicht zu schrei’n.

Und wollt ihr schon nicht weise sein,

Könnt ihr zumindest leise sein.

Schweigt vor dem Ticken der Unendlichkeit!

Hört auf die Zeit!

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