Waldersee

Waldersee

Gehört Graf Waldersee eigentlich zur Hohenlockstedter Erinnerungskultur? Immerhin sind die ehemalige Kaserne am Hungrigen Wolf, eine Straße als auch
eine Höh in Hohenlockstedt nach ihm benannt. Warum hat man ihm so viele Denkmäler gesetzt? Und wer weiss denn über seine Verdienste bescheid?

Da lohnt es, einen Blick in die Geschichte zu werfen. Nach China zum Beispiel.

Dort kämpfte um 1900 herum die „Bewegung der Verbände für Gerechtigkeit und Harmonie“ gegen den europäischen, US-amerikanischen und japanischen Imperialismus und das missionierende Christentum.
Nach anfänglichen Erfolgen gerieten die Aufständischen ins Hintertreffen und der Boxeraufstand – unter diesem Namen ist er in Deutschland bekannt –  war beinahe schon niedergeschlagen, als sechs europäische Staaten sowie die USA und Japan ein weiteres Expeditionskorps für eine Intervention in China zusammenstellten. Zum Oberbefehlshaber wurde Feldmarschall Waldersee bestellt.

Was das Lockstedter Lager damit zu tun hat, weiss das Lexikon der Wehrmacht:

Im Lockstedter Lager wurde 1900 auch das deutsche Kontingent der europäischen Truppen aufgestellt, die den Boxer-Aufstand in China niederschlagen sollten.

Bei der Lektüre seiner Zusammenstellung mehrerer Zeitungsausschnitte der Zeit lässt sich in Siegfried Schäfers „Lockstedter Lager Courier/Ausgabe Lockstedter Lager und Umgebung 1900 bis 1910″ ein Eindruck der Geschehnisse im Lockstedter Lager des Sommers 1900 gewinnen.

Waldersee

Anlässlich der Verabschiedung eines Teils der in China eingesetzten deutschen Truppen am 27. Juli in Bremerhaven hielt der deutsche Kaiser Wilhelm II. seine berüchtigte Hunnenrede, die von seinen Soldaten unter anderem Folgendes forderte:

„Kommt ihr vor den Feind, so wird er geschlagen. Pardon wird nicht gegeben, Gefangene nicht gemacht. Wer euch in die Hände fällt, sei in eurer Hand. Wie vor tausend Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in der Überlieferung gewaltig erscheinen läßt, so möge der Name Deutschlands in China in einer solchen Weise bekannt werden, daß niemals wieder ein Chinese es wagt, etwa einen Deutschen auch nur scheel anzusehen!“

Das Expeditionskorps erreichte am 13. August 1900 Peking, das bereits am folgenden Tag fiel. Laut englischem Wiki-Eintrag erreichte das Schiff mit unserem Grafen an Bord Peking erst am 17.Oktober. Die Verdienste Waldersees um den Fall Pekings hielten sich so gesehen in engen Grenzen.

Peking wurde übrigens nach der Eroberung von den Alliierten tagelang geplündert. Sicher kein Nachweis für die moralische Integrität einer überlegenen Zivilisation.

Bald begannen die alliierten Truppen damit, „Strafexpeditionen“ gegen „Boxernester“ durchzuführen und so den letzten Widerstand zu brechen. Bei der Durchführung ihrer Operationen hielten sich die Truppen wohl an die Marschrichtung, die Kaiser Wilhelm II vorgegeben hatte und kannten wenig Pardon. An den Strafaktionen war Waldersee als Oberbefehlshaber natürlich, wenn vielleicht auch nicht direkt, so doch durch seine Position, beteiligt.

Hier eine kleine Übersetzung aus dem erwähnten Eintrag der englischen Wiki:

Waldersee kam zu spät an die Front von Peking, um seine multinationale Truppe in bedeutenden Kämpfen zu leiten, war aber für die Befriedung der Boxer verantwortlich. Waldersee, der davon träumte, einen glorreichen militärischen Sieg in China zu erringen, war sehr enttäuscht, dass die Hauptkämpfe beendet waren, nachdem er am 17. Oktober 1900 in Peking angekommen war … Nach seinen eigenen Worten ging Waldersee mit „fieberhafter Aktivität“ an die Arbeit, indem er 75 Strafexpeditionen auf dem Land um Peking anordnete, bei denen Tausende von Menschen, hauptsächlich Frauen und Kinder, getötet wurden. Diese Strafexpeditionen … waren aus Waldersees Sicht unbefriedigende Unternehmen … stellten kaum einen Krieg dar.

 

Der imperialistische Geist, der die Deutschen um die Wendezeit zum 20. Jhdt. umwehte, läßt sich bei der Lektüre der Zeitungsschnipsel, die Siegfried Schäfer für seinen Lockstedter Lager Courier (leider ohne Quellenangabe) für das Jahr 1900 zusammengesammelt hat, erahnen. Was liegt dem Imperialismus anderes zugrunde als Großmannssucht und das Gefühl, andere Völker aufgrund ihrer vermeintlichen Minderwertigkeit beherrschen zu dürfen?

Diesen Geist in die Flasche zu stecken und die Figur Waldersee kritisch zu beäugen ist jedenfalls angezeigt. Alle Erinnerungen aus dem Gedächtnis zu löschen macht sicher keinen Sinn. Aus ihnen zu lernen und die Benennung irgendeiner öffentlichen Einrichtung, sei es eine Straße oder sonst etwas, einfach so stehen zulassen, kann man hinterfragen. Man könnte ja beim Straßenschild eine Tafel anbringen, die den Grafen ins rechte Licht rückt.

Übrigens: In den „Denkwürdigkeiten des General-Feldmarschalls Alfred grafen von Waldersee“, die auf Veranlassung des Generalleutnants Georg grafen von Waldersee von Heinrich Otto Meisner bearbeitet und herausgegeben wurden, findet sich auf den ersten Blick kein Hinweis auf das LoLa.

Wird für ihn wohl nicht so wichtig gewesen sein.

2 Antworten zu “Waldersee”

  1. Thomas sagt:

    Sehr interessanter Beitrag, vielen Dank

  2. Theodor Scheit sagt:

    Ich weiß leider nicht, wer von Euch bei der fleißigen Arbeit über den Grafen Waldersee alles mitgewirkt hat. Euer Artikel ist auf jeden Fall lesenswert für alle Lolaner und Hohenlockstedter! Vielleicht sollte er einmal im Geschichtsunterricht der WKS thematisiert werden.
    Dem Inhalt möchte ich hinzufügen, dass auf ZdF-Info auch schon eine Doku gelaufen ist, die Geschehnisse in China um und während des Boxeraufstandes filmmisch ausführlich behandelt. Keine Doku für schwache Nerven!!
    Ich teile Eure Meinung, wir sollten in Hohenlockstedt zu Ehrenbezeugungen für Graf Waldersee eine kritische Haltung einnehmen!

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